Auf den Spuren des Rauenthaler Zehnten zur Gründung des Dorfes

Der Zehnte ist die älteste Steuerart des christlichen Abendlandes, eine Naturalabgabe von allen Früchten des Feldes, der Wiesen und Weinberge. Er war eine Abgabe an die Kirche, die diese Realsteuer zur Errichtung und Unterhaltung der sakralen Gebäude, zum Unterhalt der Geistlichen, sowie zur Versorgung der Armen und Kranken erhob.

Der Mainzer Erzbischof Friedrich (937-954) gründete während seines Pontifikats das Mainzer Stift St. Peter und schenkte ihm als wirtschaftliche Grundlage den Zehnten der Mutterkirche Eltville, sowie die Zehnten der Eltviller Kirchensprengel liegenden Filialdörfer Steinheim (untergegangen), Walluf, Kiedrich, Erbach und Hattenheim. Zum Gebiet der Mutterkirche Eltville gehörte zum Zeitpunkt der Zehntverleihung im 10. Jahrhundert nach unserer heutigen Kenntnis eine nördlich Eltville an einer alten Fernstraße zwischen den Tälern Walluf- und Sülzbaches liegende Waldsiedlung, die bei der Zehntverleihung nicht besonders erwähnt ist, da sie noch keinen Namen hatte, und aus der später einmal das Dorf Rauenthal hervorgehen sollte.

Etwa fünfzig Jahre nach dieser Zehntverleihung gründete Erzbischof Willigis das Mainzer Stift St. Viktor und gab ihm ebenfalls umfangreiche Zehntrechte, unter anderem auch von dem damals noch aus Wald bestehenden Rauenthaler Berg.

Eine undatierte, wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert stammende Flurkarte mit 39 eingezeichneten Zehntsteinen und ausführlicher Grenzbeschreibung läßt klar erkennen, daß von den zuerst gerodeten Äckern rund um die älteste Siedlung der Zehnte an das Stift St. Peter, der Zehnte aber von den sich daran anschließenden, also später gerodeten Gemarkungsteilen an das Stift St. Viktor abzuführen war.

Dies bedeutet, daß zum Zeitpunkt der Gründung des Stiftes St. Viktor um das Jahr 995 die Bewohner der kleinen Waldsiedlung ihren Zehnten bereits an das Stift St. Peter ablieferten. St. Peter verkaufte im 14. Jahrhundert diesen Zehnten an die erzbischöfliche Hofkammer, die ihn bis zur Zehntablösung zu Beginn des 19. Jahrhunderts besaß.

Nach der Rodung des Rauenthaler Berges im 13. und 14. Jahrhundert betrug der Rauenthaler Weinzehnte, den das Stift St. Viktor vereinnahmte, in guten Jahren bis zu 25.000 Liter Wein, jedoch weigerte sich das Stift bis zur Zehntablösung bei der Säkularisation immer wieder bei allen Prozessen vor dem Mainzer Hofgericht, aus dieser Einnahme etwas zur Unterhaltung der Rauenthaler Kirche beizusteuern.

In dem letzten Prozeß zwischen der Gemeinde Rauenthal und dem Stift St. Viktor, der von 1782-1785 ausgetragen wurde, versicherte der Rauenthaler Anwalt dem Mainzer Hofgericht, daß Erzbischof Willigis dem St. Viktorstift bei dessen Gründung sicherlich keine Zehntrechte geschenkt habe, um den geistlichen Herren zu Wohlleben und Müßiggang zu verhelfen, sondern damit das Stift mit diesen Einnahmen die Kirchen und Geistlichen der zehnpflichtigen Gemeinden unterstütze. Die Stiftsherren von St. Viktor hätten die volle Verantwortung zu tragen, wenn die Seelen der Rauenthaler, sofern ihr Pfarrer aus Armut weggehe, der ewigen Verdammnis anheimfielen. Der damalige Streit um die Verwendung des Rauenthaler Zehnten ist für uns von sekundärer Bedeutung, denn uns interessiert vorrangig der aus den Rauenthaler Zehntverhältnissen abzuleitende Zeitpunkt der Entstehung der ersten Ansiedlung, aus der Rauenthal später entstand; er dürfte in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts einzuordnen sein.

Quelle: St. Antonius Eremitus 500 Jahre Mittelpunkt Rauenthals